Strangers

Laura Kansky, Oskar Zache                             75 Minuten

Vier Fremde, deren Wege sich niemals kreuzen würden, treten in einen filmischen Dialog. „Strangers“ porträtiert die indische Gesellschaft in turbulenten Zeiten. Jiaul strebt als Muslim nach gegenseitigem Respekt und Gleichheit der religiösen Minderheiten. Ram ist Mitglied der höchsten hinduistischen Kaste. Trotz Armut will er die traditionellen hinduistischen Werte wahren. Während sich der obdachlose Drogendealer Manoj mit seinem Liebeskummer vom täglichen Überlebenskampf ablenkt, hat die junge Studentin Tashi Schwierigkeiten, sich mit ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft abzufinden. Die plötzliche Geldentwertung stürzt das Land ins Chaos. Welche sozialen Eigenschaften bestimmen, wessen Wort gehört wird?

“Strangers” ist ein sehr spannender Film, der das Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Personen thematisiert. Der Film regt uns zum Nachdenken und bei Ungewissheit zur weiteren Beschäftigung mit dem Kastensystem in Indien an. Das interessanteste dieses Films ist, dass es nicht die Intention der Filmemacherin war aus ihrem Experiment einen Film zu machen.

“Strangers” ist ein sehr spannender Film, der das Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Personen thematisiert. Der Film regt uns zum Nachdenken und bei Ungewissheit zur weiteren Beschäftigung mit dem Kastensystem in Indien an. Das interessanteste dieses Films ist, dass es nicht die Intention der Filmemacherin war aus ihrem Experiment einen Film zu machen.

Q&A

Was bedeutet für Sie „ethnographischer Film“?

Der Ethnographische Film stellt für uns die Frage nach der Darstellung und Repräsentation von Individuen und Gruppen in Gesellschaften, die wir nicht als unsere begreifen. Er erfordert für uns eine möglichst tiefe Auseinandersetzung und keine distanzierte Beobachtung. Das Scheitern an diesen Anforderungen und die Thematisierung dieses Scheiterns, könnte ein weiterer Aspekt des ethnographischen Filmens sein. Die Fragen nach Repräsentation reichen für uns über den ethnografischen Film hinaus und wirken in alle Genres des Filmemachens.

Wie kamen Sie auf das Thema Ihres Filmes?

Wir lebten in Kalkutta und waren in der Recherche unseres nächsten Filmes, als über Nacht die Demonetarisierung durch den Ministerpräsidenten Narendra Modi ausgerufen wurde. Spontan begaben wir uns gemeinsam mit einem befreundeten bengalischen Journalisten auf eine drei wöchige Reise durch Bengalen, von der wir mit dutzenden Interviews zu der Lage vor Ort zurück kehrten. Beim Sichten des Materials merkten wir, das ein großer Aspekt unserer Wahrnehmung der Reise nicht in dem Material zu finden war. Wer durfte mit uns sprechen? Und wer nicht? Und worüber? Ausgehend von diesen Erlebnissen schrieben wir das Konzept des Filmes STRANGERS und wir wählen explizit eine filmisch abstrakte Sprache, anstelle der dokumentarischen Beobachtung, in der wir Raum sahen, diesen Fragen nach zu gehen.

Wie lange waren Sie vor Ort?

Wir waren von September 2016 bis Juli 2017 in Kalkutta.

Wie gelang es Ihnen die Protagonist*innen vor die Kamera zu bekommen?

Alle vier ProtagonistInnen fanden wir in unterschiedlichen Kontexten und somit war auch unsere Arbeitsbeziehung mit ihnen eine andere. Der erste Protagonist, den wir fanden, war Jiaul, der Farmer. Ihn lernten wir bei unserer ersten Recherchereise kennen. Als muslimischer Mann kämpft er sein Leben lang gegen die Ausgrenzung durch brahmanisch-hinduistische Gruppen in Indien, so fand er in uns eine gute Möglichkeit seine Agenda weiter öffentlich wirksam zu machen und wir in ihm einen guten Protagonisten. Als zweiter Protagonist kam der junge Mann Manoj hinzu. Wir kannten Manoj seit mehreren Jahren und recherchierten mit ihm einen anderen Film, den wir für das neue Konzept fallen ließen. Zu Beginn waren wir zurückhaltend, ob wir in ihm einen geeigneten Protagonistin für den Film sahen, weniger wegen seiner Person oder Geschichte, sondern da wir uns fragten, was unser Drehen für ihn, und uns und alle weiteren seiner Familienmitglieder/Bekannten und Freunde, die alle in der selben Straße wohnten und ihren Lebensunterhalt mit Touristen verdienen, bedeuten würde. Den Hausmeister Ram Naresh trafen wir durch den Kontakt eines Dolmetschers bei unserer zweiten Recherche in Kalkutta. Mit Jiaul und Manoj hatten wir Vereinbarungen darüber getroffen, dass wir für alle Verpflegungen während des Drehens aufkommen, wohingegen wir mit Ram Naresh feste Tageshonorare pro Drehtag vereinbarten. Als letztes kam die Protagonistin Tashi dazu. Wir fanden sie nach einer längeren Recherche, in der wir mehrere junge Frauen aus der Oberschicht in Kalkutta recherchierten. Da sie sich selber gerade sehr mit ihrer Rolle als bengalische junge Frau beschäftigt war für uns sehr schnell klar, dass sie für uns eine geeignete Protagonistin sein kann, da sie zudem große Lust hatte ihre Auseinandersetzung auch vor unserer Kamera zu zeigen.

Hatten Sie beispielsweise das Gefühl die Kamera kreiere eine Distanz zwischen Ihnen und den Protagonist*innen?

Unserer Erfahrung nach verändert die Anwesenheit einer Kamera immer eine Situation und damit automatisch auch die Beziehung und die Kommunikation zwischen den Menschen vor und hinter der Kamera. Manchmal wird durch die Situation des Filmes eine Nähe oder Intensität hergestellt, die ansonsten nicht da wäre und so schafft die Kamera Situationen, die es ansonsten nicht gäbe. Und manchmal schafft sie auch eine persönliche Distanz zwischen den Agierenden. So beeinflusst die Anwesenheit der Kamera aufgrund verschiedener Aspekte das Gesagte. Wir sprachen zum Beispiel mit einer Psychologin aus einer Kleinstadt in Bengalen, die uns schilderte, wie viele Menschen aus allen Bevölkerungsschichten in diesen Tagen zu ihr kämen, da sie unter Panikattacken und Stresssymptomen litten. Nur sehr verhalten merkte sie an, dass Modi „diese gute Entscheidung, etwas besser hätte planen können“. Erst als die Kamera aus, aber der Sound Recorder noch an war , fand ihr Unmut über Modis Politik und eingeschränkte Meinungsfreiheit Artikulation. Theoretisch und auch praktisch könne jede*r seine*ihre Meinung öffentlich äußern, aber es gebe viele Dinge, die die Menschen davon abhalten würden. Nicht weil irgendwer Angst davor hätte, ins Gefängnis zu wandern, sondern weil die Menschen von der Gesellschaft ausgegrenzt würden, wenn sie sich gegen die regierende hindunationalistische Partei wendeten. Auch hatte sie den Eindruck, dass diese Tendenz in den letzten Jahren stark zunehme. Dies ist wohl einer der Gründe, wieso nur wenige Menschen mit uns über Politik sprechen wollten. Unsere Rolle als weiße privilegierte Fremde (wenn auch oft mit Inder*innen las Crewmitglieder oder Dolmetscher*innen unterwegs) spielte für die Art der Reaktionen, die wir bekamen gewiss eine weitere große Rolle. In viele ländliche Gebiete Indiens verirren sich nur sehr selten Ausländer und so wurde uns vielerorts mit einer Mischung aus Neugierigkeit, Gastfreundlichkeit und Skepsis begegnet. Was wir mit unserer Kamera taten, war unseren Gegenübern manchmal nur schwer begreifbar zu machen und wurde woanders überhaupt nicht in Frage gestellt.

Was haben sie persönlich von der Produktion Ihres Filmes mitgenommen?

Oskar hat im Prozess die Liebe für den Film für sich entdeckt und ist von der Ethnologie zum Film gewechselt und studiert seit 2018 Regie an der dffb in Berlin. Laura hat ihr Interesse am Filmemachen von ihrer Tätigkeit als Kamerfrau weiter zur Regie erweitert. Wir haben beide in dem Prozess wahnsinnig viel über das Filmemachen (in Indien) gelernt und unser Wissen über die Gesellschaft(en) und Politik in Indien erweitern können. Außerdem haben wir kostbare Freundschaften geschlossen.

Haben sie vor, in Zukunft Filme mit ähnlichem Stil und Thema zu produzieren?

Mit der Filmsprache, die wir mit STRANGERS entwickelt haben, arbeiten wir gerade in anderen Projekten weiter. So führt Laura zum Beispiel gerade Regie bei einem fiktionalen Film, der mit ähnlichen filmischen Elementen arbeitet und sich um die Repräsentation von Menschen mit pädophilen Neigungen beschäftigt. Und Oskar schreibt an dem Drehbuch eines Films, der sich mit Personen beschäftigt, die ihre ständige Repräsentation in Online-live-streams professionalisieren und zu ihrer Haupteinnahmequelle gemacht haben. Für einen Film wie STRANGERS braucht man verhältnismäßig wenig Ressourcen, dafür aber viel Zeit. Wenn unsere Lebensumstände es wieder einmal zulassen, könnten wir uns gut vorstellen ein ähnliches rechercheintensives Projekt im Ausland zu drehen.

Gibt es Tipps, die sie zukünftigen ethnologischen Filmemachern mit auf den Weg geben können?

Lest Bücher, schaut Filme und hört Menschen zu. Und dann geht dem nach, was euch interessiert. 🙂

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